Herz und Praxis

Martin Büsser war einer der letzten Poptheoretiker

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 3 Min.

Jochen Distelmeyer, Peter Licht und Hansi Hinterseer und der »Musikantenstadl« in einem Satz? Das darf nur einer! Martin Büsser. Und zwar so: »Natürlich darf im Pop geträumt werden, natürlich darf er utopisch sein, dennoch wird man bei Musikern wie Distelmeyer und Licht das Gefühl nicht los, dass sie ähnliche Bedürfnisse wie Hansi Hinterseer befriedigen, lediglich auf ein etwas jüngeres ›Indie‹-Publikum zugeschnitten. Musikantenstadl auf hip, sozusagen.« Okay, das sind zwei Sätze. Aber Sätze, die bleiben. Genau wie dieser Satz hier über die »Fickt das System«-EP der Hamburger Band Die Sterne von 1992: »Ton Steine Scherben hatten das System dann wohl doch besser gefickt als dieses Bildungsbürger-Surrogat, das höchstens mal kurz den Reißverschluss runterzieht, um die seidene Unterhose zurechtzurücken.«

Zu finden sind diese Büsser-Sätze in dem Sammelband »Lazy Confessions«. Das ist der inzwischen schon dritte Band mit Texten dieses vor zehn Jahren verstorbenen Autors, der einer der letzten Poptheoretiker war - und noch viel mehr. »Martin Büsser auf einen Nenner zu bringen, ist schwierig«, meint sein Freund und Verleger Jonas Engelmann, »er war ein wichtiger Autor der deutschen Punk- und Hardcore-Szene und gleichzeitig einer ihrer schärfsten Kritiker, er war Poptheoretiker (…), er hat einen Comic gezeichnet, Musik mit seiner Band Pechsaftha gemacht, Compilations zusammengestellt, die ›testcard‹ und den Ventil-Verlag mitgegründet, als Musikjournalist gearbeitet, zahlreiche Bücher über verschiedene Aspekte der Popkultur geschrieben, aber auch über Kunst, Literatur und Film.«

2011 war ein erster Band unter dem Titel »Music is my Boyfriend« erschienen, in dem vor allem der Fanzine-Schreiber Martin Büsser vorgestellt wurde. Der zweite Band »Für immer in Pop« erschien 2018 und versammelte Texte des etablierten Musikjournalisten und »Punkgelehrten«. Mit »Lazy Confessions« stellt Engelmann den vielseitigen Autor Büsser vor: Es geht um Musik, Literatur, Filme und Kunst. Also um Popkultur. Büssers Texte sind oft witzig und oft wütend, aber immer intellektuell. Die Theorie ist jedoch nur die Federung seines glänzenden Storytellings. Seine Texte seien verfasst »im Sinne eines intellektuellen Hinterfragens, das stets Gesellschafts- und Kulturkritik mit bedenkt«, so beschrieb Büsser den eigenen Anspruch.

Die Anordnung seiner Texte in »Lazy Confessions« ergibt sich aus Büssers intellektuellem Gedankengebäude, »nach den Zugängen (…), über die sich Martin der Kultur angenähert hat«, so Engelmann. Das tat Büsser mittels brillanten Interviews, unter anderem mit Lydia Lunch, Glen Matlock von den Sex Pistols, Lee Ronaldo von Sonic Youth oder mit Courtney Love. Sehr lesenswert sind aber auch die Texte über die Schriftsteller Stanislaw Lem, Ronald M. Schernikau, Hubert Fichte und Thomas Harlan.

In dem großartigen Kapitel »Sprechweisen der Popkultur« wird dann der linke Poptheoretiker Büsser vorgestellt. »Popkultur, das diffuse Geflecht aus Emotion und Praxis, das einmal Hausbesetzer und Piratensender hervorgebracht hat, Schwulendiscos und am Kopierer vervielfältigte Fanzines, ist wie jegliche kulturelle Äußerung immer nur in dem Maß an die Kulturindustrie verkauft, in dem es die Linke versäumt, die Sache für ihre Interessen nutzbar zu machen«, erklärt Büsser in dem Text »Das Gerangel um den ›richtigen‹ Pop«. Sogar seine Reisereportagen beschreiben nicht nur eine Bewegung an einen fremden Ort, sondern reflektieren auch ganz nebenbei die Bedingungen und Funktionen popkulturell geformter Identitäten.

Texte über Pop sind ja ziemlich schnell Schnee von gestern. »Lazy Confessions« wirkt aber so frisch, als würde es gerade erst schneien.

Martin Büsser: Lazy Confessions, Ventil, 352 S., br., 17 €.

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